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ARRIVO BERLIN

Newsmeldung

08.10.2021

In ihrer Motivation und in ihrer Kreativität kaum zu bremsen

Angebote für geflüchtete Frauen bei den ARRIVO BERLIN Übungswerkstätten

Frauen in der Fahrradwerkstatt bei ARRIVO BERLIN Übungswerkstätten
Bild: © Schlesische 27

Die ARRIVO BERLIN Übungswerkstätten bereiten junge Geflüchtete auf eine Berufsausbildung im Handwerk vor. Der Kurs dauert im Durchschnitt 16 Wochen und umfasst drei Module: einen Sprachkurs, einen Werkstattkurs sowie Fachkurse in Berliner Handwerksinnungen, in denen Teilnehmende Einblicke in verschiedene Handwerksberufe wie z.B. Bäcker*in, Kfz-Mechatroniker*in oder Dachdecker*in erhalten.

Das Angebot umfasst auch spezielle Kurse für geflüchtete Frauen. So fanden beispielsweise in diesem Jahr Praxisprojekte mit Schwerpunkt Zweiradmechanik, Floristik oder Friseur statt. Diese Kurse finden viermal jährlich für jeweils vier Wochen statt und verfolgen das Ziel eines ersten Kennenlernens von Themen der beruflichen Identität im Berliner Handwerk. Die Teilnahme ist kostenlos, Kinderbetreuung ist möglich. Wir sprachen mit Projektleiter Till Fennel über seine Erfahrungen mit diesem gendersensiblen Ansatz.

Herr Fennel, warum spezielle Kurse für Frauen?

Wir haben beobachtet, dass trotz niedrigschwelliger Teilnahmemöglichkeiten die Kursangebote der ARRIVO BERLIN Übungswerkstätten vornehmlich von Männern wahrgenommen werden. Wir wollten dem entgegenwirken – wohl wissend, dass die ungleiche Gender-Tendenz ein handwerkweites Phänomen ist. Unsere Idee war es, besondere Kurse anzubieten, die in ihrer Umsetzung eher mit den sozialen und sozio-ökonomischen Bedarfen und Bedürfnissen von Frauen mit Fluchthintergrund in Einklang zu bringen sind.

So ist zum Beispiel der Tatsache Rechnung zu tragen, dass oft die familiäre Care Arbeit sehr stark bei dieser Klientel liegt und somit Angebote eher punktuell und passgenau um den anspruchsvollen Alltag der Frauen herum zu konzipieren sind. Das liegt übrigens unter anderem auch daran, dass viele der Frauen Mütter sind, die nur schlecht Kita-Plätze bekommen, weil es sowieso schwer ist einen Platz zu bekommen oder sie ständig umziehen müssen. Kurzum: Die Lebensrealität vieler geflüchteter Frauen beinhaltet multiple Herausforderungen, die die Teilnahme an Berufsorientierungsprogrammen verkomplizieren und deshalb ein besonderes Angebot notwendig machen.

Das Angebot für geflüchtete Frauen ist regulärer Teil der Übungswerkstätten und wird als einmonatiges Praxismodul vierteljährlich mit dem Ziel angeboten, dass die Teilnehmerinnen mithilfe eines besonders zugeschnittenen Angebotes zum Übergang in die anderen Projektmodule motiviert werden können.  

Seit wann gibt es die Werkstattkurse für Frauen und wie kam es zur Entwicklung dieses Angebots?

Das Praxismodul für geflüchtete Frauen gibt es seit Ende 2016. Wie ein Modellprojekt haben wir das Angebot in Absprache mit der Berliner Senatsarbeitsverwaltung regelmäßig weiterentwickelt und angepasst. Es ging von vornherein darum den Frauen, die oft familiär stark eingebunden sind, auch Möglichkeiten und Selbstverständnisse weiblicher Berufstätiger im Handwerk nahezubringen. So entstand ein Angebot, dass sich einerseits mit den Bedürfnissen der weiblichen Zielgruppe auseinandersetzt, beispielsweise der Stärkung der Selbstwirksamkeit über theatral angelegte Empowerment-Übungen.

Andererseits wurden wir über unsere allgemeine Arbeit bei ARRIVO BERLIN auf verschiedene erfolgreiche Handwerksunternehmerinnen und -gesellinnen aufmerksam, die wir als Vorbilder für das Modul gewinnen konnten. Manche luden wir ein oder besuchten wir gemeinsam mit den teilnehmenden Frauen. Jetzt haben wir es so etabliert, dass wir je nach Berufsschwerpunkt des Moduls beispielsweise eine Chefin einer Metallverarbeitungsfirma, eine selbstständige Floristin oder eine Bäckermeisterin besuchen, die ihr Unternehmen vorstellen und im Idealfall sogar eine kleine Praxiseinheit vor Ort anleiten.

Wissen Sie etwas über die Motivation der Frauen, an diesen Kursen teilzunehmen?

Ein starkes Thema für die Frauen ist der gemeinsame Austausch zur Frage wie Privates und Berufliches zusammenkommen kann und wie das überhaupt funktioniert mit dem Arbeitengehen in Deutschland. Vielfach fehlen den Teilnehmerinnen Räume um ihre individuellen Interessen zu verfolgen, voneinander zu lernen oder neue Perspektiven zu entwickeln. Sie schätzen das ARRIVO-Angebot, auch weil es sozialen Austausch fördert und damit Anknüpfungspunkte zum gesellschaftlichen Leben in Deutschland bietet. Diese Motivationslage übersetzt sich gut in den vielschichtigen Deutschunterricht und die angedockten Praxiseinheiten. Hier werden die berufsfachspezifischen Kursangebote einerseits als Medium des Austausches und der Spracherprobung genutzt und andererseits als Ort der Aktivierung von kreativen Ressourcen.

Wie würden Sie die Atmosphäre in den Kursen beschreiben?

Die Atmosphäre der Frauenangebote ist ganz besonders herzlich. Die Frauen, die unsere Angebote besuchen, sind in ihrer Motivation und in ihrer Kreativität kaum zu bremsen. Auch vermeintlich weniger attraktive Berufsorientierungen wie etwa in der Tischlerei oder bei den Zweiradmechaniker_innen werden mit großen Begeisterung besucht. Auf den Punkt bringt es dieses Zitat einer Dozentin: „Sie fühlen sich wohl, da sie wissen, dass sie in den Kursen nicht perfekt sein müssen.“ Das Praxismodul für geflüchtete Frauen ist ein Raum des gemeinsamen Kennenlernens, Ausprobierens und Wachsens – gerade deswegen funktionieren die Kursangebote auch über kulturelle Grenzen hinweg sehr gut.

Woran messen sie den Erfolg der Projekte?

Die üblichen Erfolgsindikatoren aus unseren anderen Projekten – zählbar Menschen in Ausbildung oder Anstellung bringen – gelten in diesem Projekt nur bedingt, weil für die meisten Teilnehmerinnen, wie bereits beschrieben, noch kein Beginn einer Arbeits- oder Ausbildungsstelle denkbar ist. Wir sind sehr erfreut darüber, dass mittlerweile etwa. ein Drittel unserer gesamten Teilnehmenden Frauen sind. Ein riesiger Erfolg, wenn wir an das erste Projektjahr denken, als wir noch alle weiblichen Teilnehmenden an einer Hand abzählen konnten.

Erfolgreich ist das Projekt zudem, wenn die Teilnehmerinnen mit einer ersten Idee oder sogar schon einem umsetzbaren Plan für ihre berufliche Zukunft weitergehen können. Gleichzeitig freuen wir uns sehr, dass einige Frauen nach Abschluss des Praxismoduls in die regulären Übungswerkstätten gewechselt sind und dadurch tatsächlich eine Ausbildungs- oder Arbeitsstelle gefunden haben.

Wie werden die Frauen nach den Kursen weiter unterstützt?

Die Frauen, die unsere Kursangebote besuchen, werden vom regulären Case-Management der Übungswerkstätten betreut. Das heißt, dass die Teilnehmerinnen von einer Person begleitet werden, welche sich um Fragen des Zugangs in den Arbeitsmarkt kümmert und auch für andere Belange ein offenes Ohr mitbringt. Das bedeutet auch, dass bei dezidiertem Interesse jede der Teilnehmerinnen bei der Berufs- oder Ausbildungsplatzsuche unterstützt wird und dementsprechend weitere Betreuung erhalten kann.

Darüber hinaus besteht für die Teilnehmerinnen auch die Möglichkeit in die regulären Kursangebote der ARRIVO BERLIN Übungswerkstätten überzuwechseln. Zusätzlich gibt es die interessante Entwicklung zu beobachten, dass einzelne Frauen nun in ihrer Community beziehungsweise bei Netzwerkpartner_innen als Multiplikatorinnen auftreten, um gelerntes Wissen weitergeben und einer breiteren Community zugänglich machen zu können.

Gibt es Ideen, die Praxisprojekte weiter zu entwickeln?

Wir sehen, dass die Gruppe geflüchteter Frauen tolle Ressourcen mitbringt, die bisher allerdings primär im privaten Kontext zum Tragen kommen. Aus diesem Grund sind perspektivisch zum Beispiel Formate denkbar, die den Fokus noch stärker Richtung Arbeitsmarkt verschieben. Damit auch Vermittlung in Ausbildung und Arbeit perspektivisch funktioniert, braucht es dringend eine nachhaltige Stärkung der beruflichen Selbstwirksamkeit der weiblichen Projektteilnehmenden sowie Arbeits- und Ausbildungsangebote im Handwerk, die mit Familienarbeit kompatibel ist.

Ist Ihnen eine der Teilnehmenden besonders in Erinnerung geblieben?

Vielfach wurden in den speziellen Frauenangeboten Erfahrungen gemacht, die sehr stark mit Emanzipationserfahrungen in Verbindung gesetzt werden können. So berichtete zum Beispiel eine Frau im Zweiradmechaniker*innen-Kurs: „In meinem Heimatland ist das Fahrradfahren für Frauen nicht erlaubt, aber jetzt möchte ich, dass ich mein Leben lenke. Ich mag in die Zukunft sehen, die Vergangenheit ist passiert. So mache ich das Vorderlicht an, dann rahme ich Vergangenheit und Zukunft ein.“

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