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Newsmeldung

29.06.2021

Wir, geflüchtete Menschen

von Dr. Johnny Van Hove

Colloge mit Ausstellungsdetails
Bilder: © Dokumentationszentrum Flucht, Vertreibung, Versöhnung | BUS gGmbH

Am Anhalter Bahnhof in Kreuzberg eröffnete Ende Juni das Dokumentationszentrum Flucht, Vertreibung, Versöhnung. Es zeigt Flucht und Zwangsmigration als Teil der europäischen Geschichte – und als Teil einer globalen Erfahrung. Dr. Johnny Van Hove hat die Ausstellung besucht.

Das Dokumentationszentrum Flucht, Vertreibung, Versöhnung wird von der gleichnamigen Stiftung getragen, die zu diesem Zweck  2008 vom Bundestag gegründet wurde. Das Ziel ist es, sich aus einer deutschen, europäischen wie globalen Perspektive den Zwangsmigrationen im 20. und 21. Jahrhundert zu widmen, auch und insbesondere vor dem Hintergrund der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik. Dies tut das Zentrum anhand von Ausstellungen, einer Bibliothek mit Zeitzeugenarchiv, pädagogischen Angeboten, einem Veranstaltungsprogramm und dem „Raum der Stille“. Seit dem 23. Juni ist die Dauerausstellung kostenlos für das Publikum zugänglich.

Rundgang durch globale und nationale Geschichten

Eine Treppe führt mit hohen Stufen zum ersten Stockwerk beziehungsweise auf ein Plateau. Hier wird eine Art globale Geschichte von Flucht und Vertreibung inszeniert. In einem Archivschrank werden beispielsweise die zentralen „Hotspots“ des vergangenen Jahrhunderts aufgerufen.  Die implizite Botschaft des Schranks – Flucht als menschlicher Dauerzustand der Moderne – wird durch die Ausstellung und Kommentierung von teils erschreckenden teils alltäglichen Artefakten noch einmal verstärkt. Eine Wendeltreppe führt in das oberste Geschoss. Hier erst geht es um das Schicksal der 12,5 Millionen aus Ost-, Mittel- und Südosteuropa zwischen 1940 und 1949 umgesiedelten, geflohenen und vertriebenen deutschsprachigen Europäer. Das Ganze wird eingebettet in die Geschichte des Zweiten Weltkriegs.

Artefakte und Betroffenen sprechen

Das Klappfahrrad aus Russland, mit dem kürzlich die Grenze nach Norwegen überquert wurde. Das Blechgeschirr, das das UN-Flüchtlingskommissariat (UNHCR) verteilt. Gasmasken und Spielzeug. Der Ansatz, diese teils alltäglichen Artefakte mit einer kurzen Kontextualisierung „sprechen“ zu lassen, erzeugt durchaus eindrucksvolle Momente. Das Handy, mit dem ein Geflüchteter den beschwerlichen Weg von Damaskus nach Berlin mit Bildern dokumentierte, gehört zu einem Höhepunkt der Ausstellung. Ebenso die beindruckende Video-Zeitzeugnisse von geflüchteten Menschen, die den Besucher_innen ihre Geschichte erzählen – durchaus nüchtern, manchmal subtil kritisch, erkennbar menschlich. Die Schicksale werden in der Installation so aufgearbeitet, dass man den Sprechenden direkt gegenüber sitzt.  

Die Ausstellung zeigt, dass Flucht und Vertreibung ein inhärenter Teil der modernen Geschichte sind, der uns alle betreffen und treffen kann. Insgesamt balanciert die Ausstellung gekonnt zwischen Faktenwissen und subjektiven Eindrücken. An manchen Stellen fasst sie die Dinge in ihrer ambitionierten Fülle gezwungenermaßen zu kurz – wenn etwa der „Sommer der Flucht“ 2015 und seine gesellschaftliche Bedeutung, Dynamik, Ablehnung auf einige Sätze zusammengefasst werden muss, wirkt das recht oberflächlich. Auch sonst wird man sicher noch über manches Detail debattieren können. Insgesamt erscheint bei diesem ersten Rundgang die Ausstellung überzeugend und empfehlenswert.


Hier finden Sie mehr Informationen zum Dokumentationszentrum, zur Stiftung und zur Ausstellung:

https://www.flucht-vertreibung-versoehnung.de/de/home

Öffnungszeiten: Di - So, 10 bis 19 Uhr, Stresemannstraße 90, 10963 Berlin

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